
Zeit
Wir alle kennen es und fragen uns dennoch immer wieder: “Wo ist die Zeit geblieben?“
So ging es auch mir, als ich mich jetzt für einen neuen Beitrag hingesetzt und gesehen habe, wie lange der letzte schon zurückliegt. 😳
Dennoch macht sich kaum jemand Gedanken dazu. Auch ich oft nicht. Das Rennen der Zeit wird registriert und hingenommen, kurz mal der Kopf geschüttelt, vielleicht auch ein kurzer Austausch dazu. Fertig!
Kinder und Erwachsene und die Zeit
Früher, als Kind, konnte die Zeit nicht schnell genug vergehen und dennoch zog sie sich wie Kaugummi. Es dauerte so unendlich lange bis zum nächsten Geburtstag, bis Weihnachten, bis zu den Ferien, bis zum 18.Geburtstag.
Als erwachsener junger Mensch kommen einem die Tage grundsätzlich zu kurz vor. Sie sind voll mit Terminen, nicht nur im Beruf, auch in der Freizeit. Selten gönnen wir uns eine Zeit der Ruhe und des Erholens. Wir denken, Zeit ist unendlich.
Als erwachsener älterer Mensch sind die Tage zwar oftmals lang, irgendwie vielleicht auch immer gleich. Genau deswegen fühlt es sich an, als sei trotzdem die Zeit verflogen, obwohl man gar nichts besonderes gemacht hat. Das Gehirn rafft solche „gleichen“ Tage zusammen, die Zeit scheint viel schneller zu vergehen. So lautet eine These dazu.
Es gibt viele wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema, wieso in jungen Jahren die Zeit gefühlt langsamer vergeht, später gefühlt viel schneller.
Unendlich Zeit?
Darum soll es hier jetzt aber nicht gehen. Viel mehr darum, dass wir doch alle bewusst mitbekommen, wie uns die Zeit durch die Finger rinnt. Ändern wir dann etwas im Umgang damit? Versuchen wir die Zeit bewußter wahrzunehmen und zu nutzen?
Wenn wir ehrlich sind, eher nicht.
Meist bekommt Zeit erst dann eine andere Dimension, wenn sie plötzlich begrenzt wird durch eine schwere Erkrankung und/oder dem nahenden Tod. Oder auch andere schlimme Ereignisse, die uns die Endlichkeit unserer Zeit auf Erden aufzeigt.
Die Zeit bleibt stehen, wenn wir eine solche Diagnose erhalten oder uns ein tragisches Ereignis ereilt. Wir fühlen uns, wie aus der Zeit und dem Fluß des Lebens gerissen.
Nach und nach wird uns bewußt, dass vielleicht nicht mehr viel Zeit bleibt für Wünsche und Sehnsüchte, für Aussprachen oder Annäherungen, für Reisen und dies und das, was wir uns doch noch alles vorgenommen haben.
Und dann sind wir wie vor den Kopf gestoßen. Wie kann denn das passieren? Wann haben wir aufgehört, uns Zeit zu nehmen für ebendiese Dinge?
Selbstverständlich und verplant
Vieles ist selbstverständlich geworden. Der Guten-Morgen Kuß, der Abschiedskuß, das Winken zurück beim Verlassen des Hauses, das „Tschüß“, das in den Arm nehmen. Selbst der Urlaub nötigt uns nicht mehr, Dinge mit Zeit und mit Haut und Haar zu erleben. Die Tage sind verplant mit Besichtigungen, Wandertouren, Besuchen und Veranstaltungen.
Freie Tage oder Wochenenden widmen wir allem anderen, nur nicht uns und unseren Bedürfnissen oder Wünschen. Der berühmte Ausspruch: „Später…!“
Nicht jeder ist so, und da möchte ich auch gar nicht alle über einen Kamm scheren. Manche leben durchaus sehr bewußt und nutzen ihre Zeit, wo immer es geht. Nehmen sich die Zeit, die sie brauchen. Allerdings der größte Teil der Gesellschaft tut dies nicht.
Zeit im Hospiz
Im Hospiz habe ich viele verschiedene Menschen kennengelernt und begleitet. Jeder geht anders mit seiner begrenzten Zeit um, jeder empfindet sie auch anders. Die einen sehen die restliche Zeit als Geschenk, anderen kann es nicht schnell genug gehen, endlich abtreten zu dürfen. Wieder andere kommen dann erst zur Ruhe, sortieren sich und müssen überlegen, was sie mit der knappen Zeit noch machen wollen, haben gar keine Idee dazu.
Allen gemein ist aber, dass ihre Zeit begrenzt ist und sie sich dessen sehr bewußt sind.
Zeit als Geschenk
Diejenigen, die diese Zeit als Geschenk nehmen, haben oft eine genaue Vorstellung davon, wie sie sie nutzen möchten. Und es sind nicht immer die großen Dinge. Die Sonne genießen, so wie früher, sich verwöhnen lassen, eine alte Freundin oder einen alten Freund treffen, nochmal in die eigene Wohnung gehen, shoppen mit den Kindern. Plötzlich muss man aufpassen, sich nicht Zuviel vorzunehmen. 😉
Natürlich gibt es auch die großen Dinge, wie Konzerte, Hubschrauberrundflug oder einen Ausflug ans Meer.
Doch alles ist von gleichem Wert, macht glücklich 🍀, schafft Erinnerungen und gibt ein Gefühl von Zufriedenheit und die Gewißheit, die verbliebene Zeit auskosten zu können.
Ähnlich geht es den zunächst etwas planloseren Menschen sobald sie eine Idee entwickelt haben und wissen, was alles möglich gemacht werden kann durch Freunde, Familie oder andere liebe Menschen wie ehrenamtliche Mitarbeiter oder einfach Menschen, die gerne unterstützen möchten.
Zeit als Hindernis
Diejenigen, die darauf warten, dass es bald zu Ende geht, sind nicht alle durchweg depressiv oder negativ gestimmt. Sie sehen nur keinen Sinn mehr in ihrem Dasein, möchten niemanden belasten und sich auch keine Gedanken mehr zu ihrer verbliebenen Zeit machen. Sie sind oft müde vom Leben, ohne Kraft und ohne Perspektive. Vielleicht gibt es auch kaum Freunde oder Familie und von daher sehen sie es als normalen Weg an, bald gehen zu dürfen, erwarten das Ende geduldig.
Doch bis dahin ist es möglich, auch diese Zeit mit schönen Dingen zu füllen. Sei es eine gern gesehene Sendung im Fernsehen, sei es eine Lieblingsspeise oder ein Lieblingsfilm im Hospiz Kino.
Manche möchten aber auch einfach ihre Ruhe, haben keine Erwartungen mehr. Das sollten wir respektieren. Wenn es auch schwer fällt, Zeit ungenutzt vergehen zu lassen.
Dennoch haben wir Möglichkeiten, Zeit zu füllen und eine wertvolle Erinnerung zu schaffen, für die Menschen, die das genau so wollen.
Und wir?
Wir, die wir Menschen in ihrer letzten Zeit begleiten, und auch alle anderen, sollten versuchen, Zeit nicht als unendlich anzusehen, als nie versiegende Quelle. Zeit ist endlich, bei dem einen etwas kürzer, bei dem anderen etwas länger. Und der Lauf der Zeit lässt sich nicht aufhalten!
Bestimmte Dinge sind vorgegeben und sind nicht zu ändern. Dennoch bleibt genug Zeit (oder wir müssen sie uns nehmen!) um sie in unserem Sinne zu füllen. Uns Zeit lassen für die schönen Dinge, die uns wichtig sind. Zeit nehmen für uns und unsere Liebsten. Einen klein wenig längeren Guten-Morgen Kuß oder Abschiedskuß, ein längeres im Arm halten, den kurzen Moment genießen und vor allem wahrnehmen. Etwas länger in die Augen schauen.
Wie schnell kann das Leben vorbei sein!
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8 thoughts on “Zeit”
Hallo Tamara!
Ein wirklich sehr guter Artikel.
Dankeschön! 😊
Liebe Tamara, ein sehr guter Beitrag, der zum Nachdenken anregt und um bei sich selbst zu schauen, wie nutze ICH meine Zeit.
Vielen Dank 🙏
Danke liebe Marie! 😘
Wieder so wunderschön geschrieben und so wahr…
♥️
Liebe Tamara,
Du schreibst wieder in einer wunderschönen Sprache.
Ja, mit der Zeit sollte man bewusst umgehen und leben.
Was ist mir wichtig, was tut mir gut und was tue ich für andere?
Danke für deine schönen und nachdenklich machenden Gedanken.
Liebe Grüße Irene
Ganz lieben Dank! ♥️