
In eigener Sache
Durch einen Infekt liege ich gerade flach und was kann man dann schon viel machen, außer Fernsehen schauen und schlafen.
Also suchte ich mir eine Serie in der Mediathek und fand dort „Sense of tumour“.
Höhen und Tiefen
Ich begann also diese Serie zu schauen, in der es um einen Medizinstudenten geht, der kurz davor steht, Neurochirurg zu werden und die Diagnose Krebs erhält.
Ich ging durch alle Höhen und Tiefen mit den Protagonisten, lachte und weinte, betete, dass keiner aus meiner Familie so etwas durchmachen muss. Denn die Diagnose Krebs betrifft nicht nur den Menschen, der sie bekommt, auch die Familie und Freunde, ALLE, die mit diesem Menschen verbunden sind, werden davon in Tiefen gerissen, die man sich vorher gar nicht vorstellen kann.
Ich war so beeindruckt von der Serie, dass ich sie in einem durchsah.
Und sie wirkte nach. Und wie.
Katapult
Viele Gedanken dazu schwirrten in meinem Kopf und katapultierten mich urplötzlich ein paar Jahre zurück.
In dem Jahr fuhr ich zu einer Fortbildung nach Hannover, auf die ich sehr gespannt war. Sie sollte mich am Ende zur psychoonkologischen Beraterin machen.
Ich saß im Zug nach Hannover und hatte entsprechend viel Zeit zum Lesen und Texten mit Freunden. Eine mir besonders liebe Freundin schrieb ich an wegen eines baldigen Treffens. Wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen, obwohl wir nicht so weit auseinander wohnten. Wie das aber so ist, Alltag, Arbeit, Kinder, andere Verpflichtungen.
Kurz darauf schrieb sie zurück und riss mir fast den Boden unter den Füßen weg. In dieser Nachricht teilte sie mir mit, dass sie an Darmkrebs erkrankt und nun mit einer Chemotherapie in Tablettenform gestartet sei.
Wir kommen beide aus der Onkologie und wissen um Prognosen, Therapien und ihre Auswirkungen.
Ohnmacht
Mir schossen Tränen in die Augen, ich hatte das Gefühl zu fallen.
Meine Freundin? Wie konnte das sein? Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich sah mich um, sah Familien, die spielten und lachten, Pärchen, die sich unterhielten, Menschen, die Musik hörten mit einem Lächeln im Gesicht.
Und für mich blieb die Welt stehen, für eine Sekunde hörte mein Herz auf zu schlagen, gefühlt.
Das konnte nicht sein! Doch nicht MEINE Freundin!
Der Rest der Bahnfahrt ging wie in Trance vorbei und ich bezog mein Zimmer. Einen klaren Gedanken zu fassen, schien unmöglich. Dort brach ich in Tränen aus und hörte gar nicht mehr auf. Da war nix mit beeinflussen und zusammenreißen.
Und dann telefonierten wir. Meine Freundin war unfassbar ruhig und sachlich. Sie erklärte mir alles und ein Außenstehender hätte denken können, ICH bin krank und bekomme gerade die nötige Unterstützung.
Ich versuchte nicht zu schluchzen oder mir etwas anmerken zu lassen, das ging ja nicht. Sie so ruhig und ich total aufgelöst. Da lief doch was verkehrt?
Bestimmt sah es in ihr ganz anders aus. In ihr muss die Angst getobt haben. Wenn es so war, ließ sie es mich nicht merken.
Unser Telefonat ließ mich einigermaßen sortiert zurück. Ich war bemüht, die Fortbildung mit Anstand über die Bühne zu bekommen.
Unterstützung?
Die Zeit danach, und die war wirklich lang, unterstützte ich sie, wie es mir eben möglich war. Und es blieb dennoch immer das Gefühl, dass es nicht genug war.
Als sie Chemotherapie bekam, mochte sie nicht immer jemanden sehen. Als sie operiert wurde, waren wir in Urlaub. Als eine Metastase gefunden wurde, wollte ich mich nicht aufdrängen.
Eigentlich wusste ich nie, was ich wirklich tun kann für sie. Wann war es zuviel, wann wäre es nötig gewesen, und ich war nicht da? Dabei war ich vom Fach, erklärte oft täglich den Angehörigen, dass Dasein und zusammen aushalten, meist die größte Unterstützung sind. Und jetzt war ich so hilflos wie noch nie in meinem Leben.
Und meine Freundin? Sie hat alles knallhart durchgezogen. Chemotherapie, OP, nochmal Chemotherapie, nochmal OP, Bestrahlung. Sie hat nie gejammert. Naja, vielleicht mal Unwohlsein geäußert. So wirkte es jedenfalls. Wahrscheinlich habe ich noch nicht mal einen Bruchteil von dem mitbekommen, wie es wirklich in ihr aussah. Wie verzweifelt sie gewesen sein muss zwischendurch, wenn es Komplikationen gab. Und dann die Angst! Mich hat sie so dermaßen überrollt, ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie sie in ihr gewütet hat. ICH befürchtete, sie zu verlieren, SIE kämpfte um ihr Leben.
Sinne
Diese Serie „Sense of tumour“ hat mich das alles nochmal durchleben lassen. Ich habe genau gespürt, was jede einzelne Person durchmacht, habe diese Gefühle durchlebt und es hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Sense steht für Sinn. Und so IST diese Serie. Jedenfalls bei mir hat sie alle Sinne erreicht. Dabei ist die Serie auch humorvoll und sensibel, die Botschaft ist eindeutig: niemals aufgeben!
Meine Freundin ist krebsfrei. Auch sie hat gekämpft, mit allen Mitteln. Und sie war großartig. Das muss ich an dieser Stelle jetzt mal erwähnen. 😌 Denn selber betroffen zu sein und den Blick für Freunde und Familie nicht zu verlieren, was durchaus normal wäre, zeugt von innerer Stärke und großem Lebenswillen.
Das hat mich nachhaltig beeindruckt!
(Wenn sie es hier lesen sollte: Ich bin froh dass es dich gibt! 😘)
Der eigene Weg
Menschen, die den palliativen Weg beschreiten, haben diese Berg- und Talfahrten ebenfalls schon durchlebt, all das vielleicht schon mehrfach mitgemacht, versucht, die Hoffnung nicht aufzugeben. Und nun gibt es keine andere Option mehr.
Und ich frage mich wieder mal: wenn mich solche Nachrichten, die mich noch nicht mal selbst in meiner Gesundheit beeinträchtigen, sondern eine enge Freundin, schon so aus der Bahn werfen, wie fühlt sich das erst für Menschen an, denen keine andere Möglichkeit mehr bleibt?
Wie gehen Angehörige damit um, dass nicht mehr viel Zeit bleibt? Das Leben endlich ist.
Woher nehmen sie die Kraft, die letzte Lebenszeit noch zu gestalten in irgendeiner Form?
Da jeder Mensch anders ist, gibt es dazu sicher keine Antwort, die für alle passend wäre.
Ich erlebe im Hospiz Menschen, die sprudeln vor Lebensfreude, Menschen, die aufgrund des langen Kampfes erschöpft sind, Menschen, die nicht mehr leben wollen, Menschen, die demütig geworden sind.
Angehörige, die voller Wut sind, voller Sorge aber auch voller Liebe!
Allen gemein ist jedoch, dass auch sie das eben erzählte, schon durchlebt haben und jeder aufgrund seiner ganz eigenen Erfahrungen seinen eigenen Weg wählt. Den wir respektieren sollten! Egal, wie er aussieht, egal, wie WIR es vielleicht gerne hätten, egal, welches Potenzial vielleicht nicht mehr genutzt wird.
Mein Fazit
Ich bin in den letzten Tagen durch viele Gefühlsausbrüche gegangen und dankbar dafür. Es zeigt mir, dass ich in meinem Beruf noch richtig und privat ein doch sehr emotionaler Mensch geblieben bin. 🥰
Foto: © kotenko, 123RF Free Images
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2 thoughts on “In eigener Sache”
Ich habe auch Menschen begleitet.
Es ist manchmal sehr schwer.
Heute gehe anders damit um.
Versuche es nicht mehr so nah an mich ran zu lassen.
Das ist es. Die Balance zu finden zwischen Nähe und Abstand ist ein großes Kunststück. Schafft man dies aber, kann es auch sehr bereichernd und erfüllend sein und den eigenen Weg beeinflussen.