
„Ich möchte zuhause sterben!“
Der Wunsch so vieler todkranker Menschen. Wie oft habe ich ihn gehört in den letzten elf Jahren ?
Und wie oft musste ich feststellen, dass es nicht möglich ist ?
Freunde und Familie waren überfordert trotz vieler Hilfsangebote oder es gab schlicht niemanden, der sich kümmern konnte.
Die eigene Seele konnte diese Situation nicht aushalten. Niemand war bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.
Ich frage mich : Wieso ist das so? Wieso hat sich das so verändert ?
Vor nicht mal 100 Jahren kam diese Frage gar nicht auf innerhalb der Familien.
Es gehörte dazu, dass ein Sterbender/ eine Sterbende zuhause blieb, umsorgt, gepflegt und geliebt wurde.
War er/sie dann verstorben, war es selbstverständlich, ihn/sie zu waschen, ihm seine/ ihr ihre Kleidung anzuziehen und ihn/sie aufzubahren.
Es gab Zeit, sich zu verabschieden. Jeder der kommen wollte, kam.
Jeder der unterstützen wollte, tat dies. Es gab gute Gespräche, neben dem Toten/ der Toten oder eben in der Küche, mit oder ohne Kinder. Kinder waren überhaupt immer mit von der Partie. Es war normal.
Es wurde zusammen gegessen, gesprochen, getrauert. Die Familie fühlte sich getragen im Abschiedsschmerz. Ein schöner Gedanke, so geborgen und unterstützt zu werden in den meist schwersten Stunden eines Lebens.
Das scheint verloren gegangen zu sein.
Die Welt ist viel schnelllebiger geworden, vieles kann online mal eben erledigt werden. Selbst die eigene Beerdigung. Weniger Zeitaufwand !
Keine Zeit mehr ?
Ist es das ? Keine Zeit mehr, sich mit Tod und Sterben auseinander zu setzen ?
Das Thema wurde mit der Zeit immer mehr zum Tabuthema. Tod und Sterben war ein unangenehmes Thema, gerne „totgeschwiegen“.
Und Kinder damit belasten…. um Gottes Willen! Nur das nicht! Sie könnten Schaden nehmen.
Woher kommt dieses Umdenken ?
Angst ?
Ist es Angst, sich mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen zu müssen ?
Zu anstrengend, trauernde Kinder aufzufangen ?
Wahrscheinlich gibt es viele Gründe und Fragen dazu. Ich versuche schon lange, dem selber auf den Grund zu gehen und Antworten zu finden.
Selbst bei meiner Arbeit in der Onkologie in den 1990er Jahren, wurde der Tod und das Sterben ins Badezimmer verlegt.
Was mich da schon unglaublich gestört hat. Im Prinzip fing ich da an, mir diese Fragen zu stellen.
Natürlich war dies kein Prozess, der von heute auf morgen statt gefunden hat. Diese Entwicklung hat Jahre gedauert. Vermutlich gestützt u.a. von wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der Belastbarkeit von Kindern und pflegenden Angehörigen.
Die Menschen jedoch sind individuell. Und ja, es gibt Erwachsene, die sich schwer tun, damit umzugehen. Und ja, es gibt Kinder, die eine besonders sensible Seele haben.
Natürlich
Diese Erwachsenen und Kinder haben aber auch nicht erlebt, wie es ist, wenn mit dem Thema Tod und Sterben ein natürlicher Umgang gepflegt wird.
Sie haben nicht erlebt, wie es ist, getragen zu werden durch diese schwere Zeit von Familie, Freunden oder Nachbarn.
Ich finde, wir sollten wieder mehr dahin zurückfinden, das Thema Tod und Sterben in unser Leben zu integrieren, es als natürlich dazugehörend zu sehen, es nicht auszusperren. Das Leben beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Nicht mehr und nicht weniger!
Dazwischen gibt es, wenn alles gut läuft, genug Zeit das Thema anzuschauen und anzunehmen.
Die Geburt wird gefeiert, der Tod und die damit verbundene Trauer und das Abschiednehmen, so schnell wie möglich abgehandelt, der Schleier des Verdrängens darüber geworfen.
Was wäre, wenn…?
Es wäre schön, wenn sich Menschen in dieser Phase des Lebens wieder mehr unterstützen, Familien wieder enger zusammen rücken, Nachbarn sensibler werden.
Der Umgang mit einem/ einer Toten seinen Schrecken verliert, eher als wunderbare Möglichkeit gesehen wird, sich zu verabschieden, sich vielleicht nochmal nah zu sein, ein letztes Mal !
Liebevolle Worte mit auf den Weg zu geben oder einen Brief zu verfassen.
In der palliativen Versorgung, egal ob Hospizarbeit, ambulante Versorgung, Trauerbegleitung etc., wird schon viel in dieser Richtung unterstützt und aufmerksam gemacht. Und ich meine, eine Veränderung in der Gesellschaft wahrnehmen zu können.
Beim Versterben von Kindern findet dies oft alles schon so statt, der liebevolle Abschied, das nochmal in den Arm nehmen, das sich verabschieden.
Bei Erwachsenen scheint eine noch sehr grosse Hemmschwelle vorhanden zu sein. Doch es ändert sich!
Jedenfalls dann, wenn auch der/die Erkrankte im Vorfeld einen klaren Plan verfolgt.
So kann es gehen!
Eine schwerkranke Dame, die ich in meiner SAPV Zeit betreut habe, hat genau dies getan. Sie war so klar in allen Dingen. Sie hat lange Gespräche geführt mit der Familie, wie sie sich das Sterben vorstellt und was nach ihrem Tod alles zu erledigen ist. Nach anfänglicher Zurückhaltung und Verwunderung, hat sie die Familie und ihre Freunde vorbehaltlos unterstützt in ihren Wünschen.
Es wurde die Kleidung festgelegt, die Texte und Musik für die Beerdigung, die Einladungsliste, der Beerdigungskuchen, die Lokalität.
Und auch die Möglichkeiten, die es gibt in der Sterbephase hat sie zusammen mit uns als Team besprochen und festgelegt.
Als dies alles erledigt war, wirkte sie zutiefst zufrieden und legte sich ein paar Tage später ins Bett, um zu Sterben. So sagte sie das auch : „Alles ist erledigt und nun kann es ruhig passieren.“
Sie verstarb im Kreise ihrer tollen Familie und Freunde, mit ihrer Lieblingsmusik und dem Duft ihrer Lieblingsspeise in der Nase. Sanft und entspannt, zuhause!
Nicht für jeden ist das was, nicht jeder möchte das so. Es ist aber eine Möglichkeit!
Zeit, darüber nachzudenken, was denn für einen selbst ein schöner Weg wäre und wie man ihn gangbar machen kann! 🤔
Foto: © virtosmedia, 123RF Free Images
Share this content:
Schreibe einen Kommentar